Boom oder Staatskrise?

Seit dem 24. September 2017 hat Deutschland nur noch eine geschäftsführende Bundesregierung. Im Zeitraum von vier Monaten ist es nicht gelungen, eine Regierungskoalition zu schmieden. Viele sehen die traditionelle deutsche Stabilitätskultur als gefährdet oder sogar als beendet an. Von einer "Staatskrise" ist hier und da bereits die Rede. 

Völlig unbeeindruckt davon zeigen sich offenbar die Chefs der deutschen Wirtschaft. Die Stimmung in den deutschen Chefetagen ist auch zu Jahresbeginn hervorragend. Der ifo Geschäftsklimaindex ist im Januar auf 117,6 Punkte gestiegen, nach 117,2 im Dezember. Dies war auf eine deutlich bessere Einschätzung der aktuellen Situation zurückzuführen. Der Lageindex stieg sogar auf ein neues Rekordhoch. Die deutsche Wirtschaft startete mit Schwung ins neue Jahr. Die sogenannte Konjunkturuhr des Ifo-Instituts steht nunmehr im vierten Jahr hintereinander auf "Boom". Auf "Abschwung" stand diese Konjunkturuhr zuletzt 2013, also dem Jahr der Entstehung der letzten Großen Koalition. 

Natürlich gibt es keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dieser Stimmung in den Chefetagen und der jeweiligen Koalitionsform. Aber auffällig ist das Rekordhoch in der Lagebeurteilung mitten in einer vermeintlichen Staatskrise dann doch. Noch zum Jahresbeginn prognostizierte z.B. der Dortmunder Wirtschaftsjournalist Henrik Müller, dass das "Berliner Personal derzeit dabei ist, das optimistische Deutschlandgefühl zu verspielen." Mehr noch, durch die Hängepartie in der Regierungsbildung stehe nicht nur "die Handlungsfähigkeit des Staates" auf dem Spiel, sondern das gesamte "Selbstbild der Nation" könnte ins zögerliche, zaghafte und mutlose Bild umkippen. Und das kann, für Henrik Müller, "höchst reale wirtschaftliche und politische Auswirkungen haben."

Wie man sich täuschen kann. Wir sind mitten drin in der befürchteten Hängepartie und die Stimmung der Manager hat nicht besseres zu tun, als auf Rekordwerte zu steigen. Da kann auch ein Henrik Müller nicht anders, als sich in die Ironie zu retten. In seinem aktuellen Tweet schrieb er diese Tage: "Boom-Boom-Boom: So geht's Deutschland und niemand steuert entschlossen dagegen"

Ob die Entkoppelung des Geschäftsklimas von der Regierungsbildungskrise ein Anzeichen dafür ist, dass globalisierte Märkte dem Einfluss nationaler Politik völlig entzogen sind und die Geschäftslage daher völlig unbeeindruckt von möglichen Staatskrisen ist, lässt sich nicht mit absoluter Sicherheit behaupten. Zum einen sind wir in Wirklichkeit weit von einer Staatskrise entfernt und zum anderen existieren viele Gegenbeispiele, in denen echte Staatskrisen direkt zur wirtschaftlichen Krise geführt haben. Umgekehrt ist dieser Zusammenhang jedoch immer richtig. Fast jede größere Wirtschaftskrise, die über eine reine Konjunkturkrise hinaus geht, hat zu einer Staatskrise geführt.

In diesen Tagen beginnt wieder das Weltwirtschaftsforum in Davos. Die dortigen Auseinandersetzungen um nationale Alleingänge und Protektionismus zeigen deutlich, dass die Entkoppelung von Weltwirtschaft und Nationalstaaten noch längst nicht erfolgt ist. 

Wir werden sehen, wie sich die deutsche Stimmungslage in den nächsten Monaten bei weiter offener Regierungsfrage entwicklen wird. 

Autor*in