Talking Heads

Die Kommunikation mit Maschinen, der Gebrauch künstlicher Intelligenz in der Herstellung von Produkten, im Büro, in der Landwirtschaft, in der Familie, in der Schule, in der Politik und auch in der Kunst macht unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft nicht nur schneller, produktiver und effektiver. Das sind wohl eher die äußeren Effekte, die wir sehen und jetzt auch beginnen zu verstehen.

Aber die Veränderung geht weiter und wirkt tiefer. Letztlich ist unser gesamtes Miteinander, unser Austausch, unser soziales Verhalten und unsere Kommunikation betroffen. Vertraute Vorgänge werden plötzlich zu Überraschungen und zu neuen Erlebnissen. Sprache wird von Menschen gemacht. Der Wandel von Sprache und des täglichen Sprachgebrauches unterliegt ebenfalls dem menschlichen Einfluss. Jugendsprache und Regelsprache sind z.B. seit jeher nicht das Gleiche. Nun ändert sich daran aber etwas Fundamentales, nun sprechen auch Maschinen. Auch sie mischen jetzt mit, beim Wandel unseres Sprachgebrauches.

Prof. Henning Lobin von der Justus-Liebig-Universität Gießen hat diese Veränderung seit längerem im Auge und sieht vier Konstellationen, die die Form unseres Sprachgebrauches verändern.

1. Unterstützte menschliche Kommunikation. Dies ist wohl noch die einfachste Form der Beeinflussung. Prof. Lobin sagt: „Der Rechner macht Wortvorschläge, entweder zur Vervollständigung einer Zeichensequenz oder für das nächste Wort im Text. Damit wird ein Bias zur Verwendung bestimmter Wörter erzeugt und zur Nicht-Verwendung anderer. Wörter, die nicht im Smartphone-Wörterbuch enthalten sind, werden möglicherweise tendenziell vermieden, genauso wie grammatische Konstruktionen, die von einem System nicht durch Wortvorschläge unterstützt werden. Was wir bislang beim Tippen auf Smartphones erleben, dürfte beim unterstützten Schreiben erst der Anfang sein. Microsoft etwa arbeitet an Systemen, die das Schreiben in einer Fremdsprache unterstützen oder Umformulierungen vorschlagen. Ist so etwas erst einmal in Word & Co. integriert, dürfte eine Auswirkung auf die Schriftsprache offensichtlich werden.“

Aber dabei bleibt es nicht, dank Siri, Echo, etc.. Die zweite Dimension sieht Prof. Lobin in der Kommunikation mit virtuellen Systemen. „Damit sind Systeme wie das neue Google Home, Amazon Echo oder Microsoft Cortana gemeint. Derartige Systeme verfügen bislang über eine Sprachkompetenz, die nicht situationsbezogen ist. Dies betrifft sowohl die wahrnehmbare Situation, in der kommuniziert wird (was einen gerade umgibt), als auch die diskursive Situation (was bereits vorher gesagt worden ist). Trotzdem prägen auch diese Systeme die Kommunikation mit dem Menschen, und zwar im umgekehrten Sinne: Bauen wir nämlich Erfahrung darin auf, was solche Systeme verstehen (im lexikalischen und grammatischen Sinne), dann stellen wir uns nach und nach darauf ein – so sind wir Menschen nun einmal gestrickt. Bestimmte Wörter und Konstruktionen meiden wir, andere benutzen wir bevorzugt. Dadurch wird beim Menschen eine kognitive Verstärkung bewirkt, die man Entrenchment nennt. Und diese wiederum bewirkt längerfristig einen sprachlichen Wandel.“

In der dritten Konstellation kommen dann die intelligenten Roboter ins Spiel. „Auch wenn dies immer noch besonders futuristisch erscheint, so handelt es sich dabei doch um eine Computerlinguistik-Anwendung, an der seit mehr als 40 Jahren gearbeitet wird. Schon bei den ersten halbwegs intelligenten Robotern, ob real oder simuliert (etwa Shakeyoder SHRDLU), war eine natürlichsprachliche Schnittstelle integraler Bestandteil. Ganz anders als bei virtuellen Systemen sind Roboter in eine reale Situation eingebettet, müssen sehen und agieren können, was sich auch in der Sprachnutzung niederschlägt. Idealerweise sollten intelligente Roboter auf kurze Hinweise und Anweisungen reagieren können, was die Sprachnutzung im Handlungszusammenhang beeinflusst. Sind wir erst einmal von Servicerobotern im Alltag umgeben, dürfte daraus ein spezifischer sprachlicher Anweisungsstil, womöglich ein moderner “Sklavenhalterstil” hervorgehen, wie ihn Menschen untereinander (hoffentlich) nicht verwenden würden. Auch dies dürfte ein Impuls für einen zumindest partiellen Sprachwandel darstellen.“

In der letzten Konstellation thematisiert Prof. Lobin dann die Kommunikation intelligenter Systeme untereinander. „Vor kurzem ging ein Forschungsbericht durch die Wissenschaftsmedien, in dem es um zwei Software-Agenten der Facebook-Forschung ging, die in natürlicher Sprache miteinander verhandeln können. Eigentlich sollten diese Agenten mit Menschen in Chats interagieren, sie wurden aber testweise auch auf ihresgleichen losgelassen. Da es von den Programmierern versäumt worden war, die Verwendung von wohlgeformtem Englisch bei den sprachlichen Äußerungen zu fixieren, bildeten diese Verhandlungschatbots nach und nach ihre eigene Sprache aus, ohne sich weiter um Grammatik und Lexik der englischen Sprache zu scheren. Aussagen wie “i i can i i i everything else” erhielten dabei eine klare Funktion und Bedeutung, die sich aufgrund des inzwischen erfolgten Abstimmungs- und Lernprozesses der Systeme selbst kaum von ihren Programmierern entschlüsseln ließ. Ähnliches hatte bereits vor einigen Jahren der Belgische KI-Forscher Luc Steels erreicht. In seinem “Talking Heads”-Experiment entwickelten Roboter durch verschiedene Sprachspiele ihr eigenes Vokabular und ihre eigene Grammatik. Steels wollte damit auch einen Betrag leisten zum Verständnis der Sprachentwicklung überhaupt, insbesondere zu der klassische Frage, wie sprachliche Symbole ihre intersubjektive Bedeutung erhalten haben.“

Wir sind nicht mehr allein, auch nicht bei der Entwicklung unserer Sprache. Schon gar nicht bei der Entschlüsselung und dem Verständnis dessen, was mit der Sprache eigentlich gesagt und was wirklich gemeint ist.

Man muss kein Kulturpessimist sein, um diese Veränderung zu sehen. Man muss Realist sein, um zu der Erkenntnis zu kommen, jetzt wo Maschinen auch noch bei unserer Sprachentwicklung mitmischen wird es noch wichtiger sein, mit Sprache und ihrer Bedeutung sehr überlegt umzugehen. Ein aufgeregte Gesellschaft, die sich untereinander immer weniger versteht, kann sich immer weniger auf wesentliche Dinge von Gemeinsamkeiten verständigen. Gesellschaftlicher Konsens und vertraute Vorgänge sind aber eine wichtige produktive Voraussetzung für Wachstum und Innovation.

Autor*in